Die Existenz der Nichtexistenz

Bachstrass & Siegmunds Hof

Versteckt zwischen zwei Gebäuden befindet sich eines der ältesten Mural Berlins – der "Weltbaum – Grün ist Leben". Es wurde 1975 vom inzwischen verstorbenen Künstler Ben Wagin und seinen Freunden geschaffen und gehörte lange Zeit zu den bekanntesten großformatigen Straßengraffitis in Berlin.

Ben Wagin, am 25. März 1930 in Posen, Polen, geboren, kam 1955 nach West Berlin und wurde zu einer legendären Figur der Stadt. Wagin war offen,  ungezwungen und geschickt im sozialen Umgang. Ein Großteil seines Lebens  widmete er dem Einsatz für Frieden und Umweltschutz.  

Besonders bekannt ist er für sein "Parlament der Bäume", ein Naturkunstwerk, in  dem Bäume als Zeugen des Krieges und Symbole des Wiederaufbaus fungieren.  In dem Kunstwerk werden Bäume zu lebenden Denkmälern, um sowohl die Opfer  des Krieges zu betrauern als auch die Hoffnung auf Frieden und Erneuerung zu symbolisieren. Ben Wagin sah Bäume als Verbindung zwischen Geschichte und  Natur, insbesondere im Kontext von Krieg und Wiederaufbau.

Seit den 1970er Jahren besetzte er Flächen, um dort Bäume zu pflanzen, wobei er  besonderes Augenmerk auf den Ginkgo, ein sogenanntes lebendes Fossil, legte. So wurde er sowohl als Performancekünstler, als auch als Pionier der Umweltkunst  bekannt. Als Baumpate soll er bis zu 50.000 Bäume gepflanzt haben. Er war von außergewöhnlicher Produktivität und aufgrund seiner zahlreichen  Tätigkeiten schwer eindeutig zu fassen.  

Ursprünglich war Ben Wagin beruflich Zimmermann, er arbeitete als Assistent von  Karl Hartung und blieb seinem handwerklichen Können treu, weshalb er auch oft als  Bildhauer bezeichnet wurde. Obschon die meisten Menschen Ben Wagin als  Künstler kennen, hat er sich selbst nie nur als solchen gesehen. Wagin verachtete  den Kunstmarkt und war der Überzeugung, dass Galerien nicht in der Lage seien,  die Essenz seiner Arbeit zu vermitteln. Für ihn verkörperte der Kunstmarkt lediglich  einen kleinen Aspekt seiner Tätigkeit, die er vielmehr als soziale Aktivität,  Umweltschutz und Bewahrung der Geschichte verstand. Kunst war für ihn weniger  Selbstverwirklichung oder ästhetisches Streben, sondern vielmehr ein Mittel, um das  Bewusstsein für zeitgenössische Themen zu schärfen. Für ihn war das Bäume  pflanzen untrennbar mit seiner Kunst verbunden – beide Aktivitäten waren tief in  seinem täglichen Leben und seinem Wesen verwurzelt. 

Ben Wagin war ein Visionär, der Kunst in die Öffentlichkeit trug, indem er sich für den Umweltschutz einsetzte und die Beziehung zwischen Mensch und Natur erforschte. Seine Werke spiegeln mehr als nur künstlerischen Ausdruck wider; sie zeugen von einer tiefen Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen und dem kollektiven Gedächtnis, besonders im Kontext des Wiederaufbaus nach dem Krieg und des sozialen Wandels. Durch seine Kunst bewahrte und übermittelte Ben wichtige historische Erfahrungen, er erinnert uns daran, aus der Vergangenheit zu lernen und Fehler nicht zu wiederholen.

Seine Beiträge haben die Entwicklung der modernen öffentlichen Kunst maßgeblich  geprägt, was ihm den Ruf eines frühen Pioniers in diesem Bereich einbrachte.  Der originale “Weltbaum” im Hansaviertel wird leider mittlerweile von einem neu  gebauten Bürogebäude verdeckt. Dennoch ist die Erinnerung an ihn weiterhin in der  Stadt lebendig. Auch andernorts hat Ben Wagin, obwohl er nicht mehr unter uns weilt,  unzählige Spuren seines Lebenswerks hinterlassen. Diese Überbleibsel lassen uns  den fortwährenden Charme seines Werks weiterhin spüren. Die Lücke zwischen den Gebäuden, wo das Mural einst prangte, ermöglicht es uns,  uns an das Kunstwerk zu erinnern. Oder man kann seine reproduzierte Version in  der Kulturfabrik in Moabit betrachten. 

*Möchten Sie mehr über Ben Wagin erfahren? In seiner Autobiografie „Nenn’ mich  nicht Künstler“ (ISBN 10: 386153813X, ISBN 13: 9783861538134) können Sie mehr  über ihn und sein Leben nachlesen. 

*„Parlament der Bäume“ ist ein einzigartiges Umweltkunstprojekt in der Nähe des  Bundestagsgebäudes in Berlin. Es handelt sich um ein Baumdenkmal, das zum  Gedenken an die Opfer der Berliner Mauer errichtet wurde. 

*Ab dem Jahr 2024 wird von Freund:innen und Nachbar:innen eine  Gedenkveranstaltung für den im Hansaviertel wohnhaften Ben organisiert.  Interessierte Personen werden gebeten, sich jeweils Ende Juli auf der Anschlagtafel  der Hansabibliothek zu informieren, ob die Veranstaltung stattfindet. Es sei darauf  hingewiesen, dass die Gedenkveranstaltung nicht jährlich stattfindet. Die entsprechenden Informationen werden kurz vor dem Termin in der Bibliothek oder  auf nebenan.de im Bereich Hansaviertel veröffentlicht.